Ende September bis anfangs Oktober 2017 sind von mehreren Europäischen Messstellen, darunter das BAG, Spuren von radioaktivem Ruthenium-106 in der Luft festgestellt worden.
Dieses Radioisotop, welches unter normalen Umständen in der Atmosphäre nicht nachweisbar ist, muss bei einer ungeplanten Abgabe freigesetzt worden sein. Das Fehlen jeglicher anderer künstlicher Radioisotope schliesst eine Abgabe aus einem Kernkraftwerk aus. Hingegen kann das Ruthenium-106 aus einer Anlage zur Aufbereitung von Kernbrennstäben oder zur Herstellung von radioaktiven Quellen stammen. Es hat allerdings bis zum jetzigen Zeitpunkt kein Land eine entsprechende Freisetzung bei der IAEA gemeldet.
Basierend auf den zahlreichen vorliegenden Messresultaten kamen unabhängige Ausbreitungsrechnungen vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz BfS und vom französischen Institut für Strahlenschutz und Nuklearsicherheit IRSN zum Schluss, dass die Quelle dieser radioaktiven Kontamination mit grosser Wahrscheinlichkeit im südlichen Ural zu suchen ist. Das IRSN publizierte am 9. November eine Karte mit Plausibilitäten für mögliche Herkunftsorte und schätzt für einer Freisetzung am plausibelsten Punkt die gesamte freigesetzte Aktivität auf 100 bis 300 Tera-Becquerel. Weitere Informationen sind auf der Webseite des IRSN zu finden (Kurzversion des Berichts auf Französisch, Vollversion auf Englisch). Das IRSN merkt an, dass eine derartige Freisetzung in Frankreich (dasselbe gilt für die Schweiz) Schutzmassnahmen für die Bevölkerung im Umkreis von mehreren Kilometern nötig gemacht hätte. Eine Überschreitung des in der Schweiz zulässigen Höchstwertes für Lebensmittel (1250 Bq/kg Ruthenium-106) wäre für dieses Szenario in Entfernungen bis zu mehreren Duzend Kilometern vom Abgabeort zu erwarten. Abklärungen des BAG in Zusammenarbeit mit BLV, Kanton BS und Zoll zeigen aber, dass ein Import von kontaminierten Lebensmitteln aus der vermuteten Herkunftsregion des Ruthenium-106 in die Schweiz sehr unwahrscheinlich ist. Auch das damit verbundene potentielle Gesundheitsrisiko ist sehr klein. Daher konnte auf das Einrichten von systematischen Kontrollen des Ruthenium-106 Gehaltes von importierten Lebensmitteln verzichtet werden.
In der Schweiz zeigte die Überwachung der Radioaktivität in der Luft durch das BAG Spuren von Ruthenium-106 bei Cadenazzo im Tessin. Zwischen dem 25.09. und 02.10.2017 ergab sich eine Konzentration von 50 micro-Bq/m3 Ruthenium-106 in der Aussenluft. Im Zeitraum vom 02.10. bis 03.10. ist der Wert auf 1’900 micro-Bq/m3 angestiegen. Danach sanken die Messwerte wieder. Der zwischen dem 03.10. und dem 04.10. bestaubte Luftfilter zeigte noch 480 micro-Bq/m3, für die Zeit vom 4.10. bis. 5.10. betrug die Konzentration 470 micro-Bq/m3, vom 5.10. bis 6.10. noch 320 micro-Bq/m3. Seit dem 7.10. ist in der Luft im Tessin kein Ruthenium-106 mehr nachweisbar.
Der Höchstwert von 1’900 micro-Bq/m3 entspricht einem Wert, der 350-mal kleiner ist, als der für dieses Radionuklid in der Strahlenschutzverordnung (StSV) festgelegte Immissionsgrenzwert in der Luft. Daher besteht für die Gesundheit der Bevölkerung kein Risiko. An den anderen Messorten in der Schweiz, auf der Alpennordseite gelegen, konnten für den ganzen Zeitraum kein Ruthenium-106 nachgewiesen werden. Zusätzlich zu den Luftproben hat das Kantonale Labor des Kantons Tessin am 4.10. Grasproben bei Cevio, Mezzovico und Prato Leventina genommen. Bei diesen Proben war Ruthenium-106 nicht nachweisbar. Das bedeutet, dass es in der Schweiz zu keiner Kontamination von Lebensmitteln gekommen ist.
Die Messwerte in mehrere Ländern im Osten und Süden Europas (z.B. Tschechien, Österreich, Polen, Italien) lagen oftmals etwas höher als in der Schweiz – so wurden im Osten Österreichs bis zu 40‘000 micro-Bq/m3 festgestellt. Der höchste in Europa gemessene Wert ist mit 150’000 micro-Bq/m3 am 30. September in Rumänien gemessen worden. Es ist festzuhalten, dass alle diese Messwerte ebenfalls unterhalb des in der StSV festgelegten Immissionsgrenzwertes für Ruthenium-106 liegen.
Am 21. November hat der Russische Meteorologische Dienst, Roshydromet, mitgeteilt, dass auch auf russischem Gebiet Ende September erhöhte Ruthenium-106 Werte in der Luft gemessen wurden. Die veröffentlichten Werte sind etwa vergleichbar mit jenen aus Polen und ermöglichen keine weitere Aufklärung der Freisetzung dieses Radioisotopes. Die Ursache bleibt weiterhin unbekannt.
Ruthenium-106 (Ru-106) ist ein Radionuklid mit einer Halbwertszeit von 373.6 Tagen, welches zum Beispiel in der Medizin zur Strahlenbehandlung von Augentumoren verwendet wird. Eine weitere, seltenere Anwendung findet Ruthenium-106 in Radionuklidbatterien (Radioisotope thermoelectric generators“ RTG), die der Stromversorgung von Satelliten dienen.