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Am 26. April 1986 kam es im Kernkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine zu einem Unfall, der schliesslich zur Explosion und zum Brand des Reaktors führte. Hierbei wurden grosse Mengen Radioaktivität freigesetzt.
Vor 31 Jahren (2017) wurden durch den Unfall von Tschernobyl grosse Mengen an Radioaktivität an die Atmosphäre abgegeben. In den Luftmassen transportierte radioaktive Partikel erreichten ganz Europa. Auch die Schweiz blieb nicht verschont. Niederschläge wuschen die Radioaktivität aus der Luft und führten zu regional sehr unterschiedlichen Radioaktivitätsablagerungen. Die Messungen von Umweltproben (Boden, Gras und Lebensmitteln) sowie die direkte Bestimmung der vom menschlichen Körper aufgenommenen Radioaktivität waren für die Behörden eine unerlässliche Grundlage, um auf die Situation reagieren zu können. Es ging dabei um die Umsetzung von Schutzmassnahmen und um Informationen, die den Anfragen und den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht wurden (BAG, 1986). Die 2006 veröffentlichten Resultate und Lehren daraus (BAG, 2006) haben noch heute Gültigkeit, denn auch 30 Jahre nach dem Unfall sind noch immer Spuren der Ablagerungen von Tschernobyl messbar (siehe Abbildung). Die Messungen der letzten Jahre bestätigen in ihrer Gesamtheit die im Bericht von 2006 publizierten Resultate und Tendenzen. Eine Ausnahme vom allgemeinen Rückgang der vom Reaktorunfall stammenden Radioaktivität bildet die Kontamination von Wildschweinfleisch, die auch heute noch Werte von einigen Tausend Becquerel pro Kilogramm Cäsium-137 erreichen kann. Tendenziell scheinen die Werte sogar etwas anzusteigen, weshalb das Veterinäramt des Kantons Tessin seit 2013 systematische Radioaktivitätsmessungen an den erlegten Wildschweinen durchführt. Diese spezielle Situation erklärt sich dadurch, dass sich das Radio-Cäsium seit dem Reaktorunfall langsam in tiefere Bodenschichten verlagert hat und dort heute in höherer Konzentration vorhanden ist, als an der Oberfläche. In diesen tieferen Schichten wächst auch ein spezieller Pilz, der Hirschtrüffel, welcher die Eigenschaft hat, Cäsium anzureichern. Hirschtrüffel sind für Menschen ungeniessbar, für Wildschweine aber eine Delikatesse. Je nach Menge der von einem Tier im Monat vor der Jagd verzehrten Hirschtrüffel, kann Wildschweinfleisch auch heute noch stark belastet sein. 2015 wurde mit 9900 Bq/kg Cäsium-137 eine achtfache Überschreitung des geltenden Grenzwertes festgestellt – ein Rekord für dieses Radionuklid in einem im Tessin erlegten Wildschwein. Wie alle Wildschweine bei welchen der Grenzwert überschritten ist (das sind 3% -5% der erlegten Tiere), wurde auch dieses Exemplar vom Kantonstierarzt konfisziert.
Die vor dem Unfall von Tschernobyl vorgenommenen Messungen an Umweltproben zeigen einen schwachen Beitrag der künstlichen Radionuklide zur externen Strahlenbelastung der Bevölkerung. Dabei handelt es sich um Rückstände von Cäsium-137 aus den Kernwaffenversuchen der 1950er und 1960er Jahre. Im Mai 1986 wird ein drastischer Anstieg dieser künstlichen Strahlenbelastung infolge der Ablagerung von radioaktiven Partikeln aus Tschernobyl festgestellt. Aufgrund des raschen Zerfalls der kurzlebigen Radionuklide ist im Sommer 1986 ist eine schrittweise Verminderung der Werte zu beobachten. Danach verlangsamt sich der Rückgang der Kontamination, bedingt durch die längeren Halbwertszeiten der Cäsium-Isotope, insbesondere Cäsium-137 mit seiner Halbwertszeit von 30 Jahren. Cäsium-137 kann noch heute nachgewiesen werden.
In der Schweiz wurden im Mai 1986 – gestützt auf zahlreiche Analysen – rasch Schutzmassnahmen getroffen und Empfehlungen erlassen, um insbesondere bei Kindern die Schilddrüsen zu schützen. Die durchschnittlich akkumulierte Dosis der Bevölkerung als Folge der Katastrophe von Tschernobyl wird auf 0,5 mSv geschätzt, wobei die Werte für die am stärksten betroffenen Personen, welche den Empfehlungen des BAG nicht gefolgt sind, bis zu 5 mSv betragen können (BAG, 1987). Diese Dosis ist zum grössten Teil auf die innere Kontamination in den ersten Monaten nach dem Unfall zurückzuführen. Auswirkungen auf die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung konnten bislang jedoch keine nachgewiesen werden. Um trotzdem eine theoretische Gesamtzahl der mit dem Tschernobyl-Unfall in Zusammenhang gebrachten Todesfälle durch Krebs in der Schweiz abzuschätzen, kann der Risikofaktor der Internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP, 2008) angewendet werden. Gemäss diesem Ansatz, ist in der Schweiz als Folge des Unfalles von 200 zusätzlichen Todesfällen durch Krebs auszugehen. Es ist aber schwierig diese Zahl mit Hilfe von epidemiologischen Untersuchungen zu bestätigen, im Wissen dass in der Schweiz jedes Jahr 16‘000 Personen jährlich an Krebs sterben, also rund 480‘000 seit 1986. Auf internationaler Ebene sind die Aktualisierungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2006) und des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiations (UNSCEAR, 2008) wichtige Publikationen zu den gesundheitlichen Auswirkungen aufgrund des Unfalls von Tschernobyl.
30 Jahre nach Tschernobyl ist ein Unfall nach wie vor möglich, wie uns die Ereignisse in Japan 2011 vor Augen führten. Die sehr empfindlichen Luftüberwachungssysteme, über die das BAG heute verfügt, ermöglichten es, Spuren der von Fukushima verfrachteten Radioaktivität nachzuweisen, deren Strahlung rund 1’000 mal geringer war als diejenige, die nach dem Unfall von Tschernobyl in der Schweiz gemessen wurde. Als Folge des Unfalles in Japan, mit den hohen Abgaben von Radioaktivität ins Meer, hat die Schweiz die Radioaktivitätsüberwachung angepasst. 2015 nahm das BAG ein automatisches Messnetz (« URAnet aqua ») für die kontinuierliche Überwachung von Flusswasser in Betrieb (siehe auch www.radenviro.ch). Ebenfalls in Arbeit ist die Erneuerung der automatischen Überwachung der Radioaktivität in der Luft. Das neue « URAnet aero » wird das heutige « RADAIR » bis 2018 vollständig abgelöst haben. Die Schweiz verfügt damit über leistungsfähige Umweltüberwachungsnetze, welche auch geringe Erhöhungen von Radioaktivität feststellen und gegebenenfalls warnen können.