Im April 2020 kam es zu ausgedehnten Waldbränden im Gebiet um das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl. In dieser Region sind die Böden seit dem Reaktorunfall von 1986 stark mit Cäsium-137 belastet. Derartige Brände können das radioaktive Cäsium-137 erneut in die Luft freisetzen. In der Ukraine wurden tatsächlich zeitweise erhöhte Cäsium-137 Konzentrationen in der Luft gemessen. Die Werte waren aber tief. Die höchsten in der Ukraine gemessenen Konzentrationen betrugen weniger als ein Tausendstel des in der Schweiz gültigen Immissionsgrenzwertes (IGLf, Cs-137 = 8.5 Becquerel pro Kubikmeter bzw. 8’500’000 Mikro-Becquerel pro Kubikmeter, µBq/m3).
Cäsium-137 Konzentration in der Luft bei Güttingen TG
Abbildung 1: Dargestellt sind die Cäsium-137-Konzentration für die Jahre 2017 bis 2020, jeweils von Januar bis Mai.
Um eine mögliche Verfrachtung dieser Kontamination bis in die Schweiz festzustellen, verfolgt das BAG die aktuelle Situation seit Beginn der Brände am 6. April. Das BAG steht dabei in Kontakt mit den anderen europäischen Messstellen für Radioaktivität in der Luft und mit der schweizerischen Alarmzentrale (NAZ). Die vom BAG betriebenen Hochvolumen-Aerosolfilter (HVS) erlauben das Erfassen von kleinsten Spuren von Radioaktivität in der Luft in der Schweiz. Es sind sechs Stationen in Betrieb, deren Filter einmal in der Woche ans Messlabor gesandt werden. Die Messresultate werden anschliessend auf www.radenviro.ch publiziert.
In der Schweiz blieben die maximalen Werte für Cäsium-137 im April im üblichen Rahmen, d.h. maximal 1-2 Mikro-Bq/m3, je nach Messstation. Ausbreitungsrechnungen des IRSN zeigen, dass Luftmassen aus der Ukraine die Schweiz vom 8. bis 13. April erreichten und später noch einmal vom 23. bis 27. April. Für den etwas höheren Wert bei der Station Güttingen Ende April ist also ein Einfluss der Waldbrände in der Ukraine möglich. Da gleichzeitig in den Niederschlagsproben Spuren von Cäsium-137 gefunden wurden (siehe Abbildung 3) lässt sich eine Spur der Waldbrände bis in die Schweiz durchaus vermuten. Es ist aber ebenso gut möglich, dass die grosse Trockenheit im April zu einer verstärkten Aufwirbelung von Staub aus Böden in der Umgebung geführt hat. Auch die Böden in der Schweiz enthalten etwas Cäsium-137, das noch aus Ablagerungen nach dem Unfall von Tschernobyl 1986 sowie von den oberirdischen Atombombentests in den 1960er Jahren stammt. Durch Resuspension von Staub aus solchen Böden kann Cäsium-137 in die Aerosolfilter gelangen. Die Grafik oben zeigt ebenfalls, dass ähnlich hohe Werte auch in früheren Jahren – unabhängig von Waldbränden in der Ukraine – vorgekommen sind. Ein gesundheitliches Risiko für die Bevölkerung der Schweiz stellen diese sehr geringen Konzentrationen (eine Million mal tiefer als der Immissionsgrenzwert) nicht dar.
Alle Messwerte für Cäsium-137 sind in der Abbildung 2 dargestellt. Im Tessin, bei der Station Cadenazzo (HV-CAD) sind die Cäsium-137 Konzentrationen vor allem im Winter etwas höher, da das Tessin von Ablagerungen nach dem Unfall von Tschernobyl 1986 besonders stark betroffen war. Lücken in beiden Abbildungen sind Messwerte, die unterhalb der Nachweisgrenze liegen.
Cäsium-137 Konzentration in der Luft (alle HVS-Stationen)
Abbildung 2: Alle Cäsium-137-Messwerte für 2020. Für eine Karte der Standorte siehe hier.
Cäsium-137 Konzentration in der Luft und im Niederschlag
Abbildung 3: Cäsium-137 Konzentrationen in der Luft (oben) und im Niederschlag (unten) für das Jahr 2020. Ein Einfluss der Waldbrände in der Region Tschernobyl im April 2020, insbesondere für die Station Güttingen (GUT), darf vermutet werden.
Zu den Waldbränden in Tschernobyl 2020 und der damit verbundenen Ausbreitung von Cäsium-137 in Europa wurde folgender wissenschaftlicher Artikel publiziert:
Masson et al., 2021. Europe-Wide Atmospheric Radionuclide Dispersion by Unprecedented Wildfires in the Chernobyl Exclusion Zone, April 2020. Environ Sci Technol, 13834-13848