Seit dem Verbot der Kernwaffentests hat die künstliche Radioaktivität in der Troposphäre und in der Stratosphäre stetig abgenommen. Heute können Spuren von künstlichen Radionukliden in der Höhenluft nur noch mit hochempfindlicher Messtechnik nachgewiesen werden. Dabei werden Aerosolproben mit Hilfe von Kampfflugzeugen der Schweizer Armee gesammelt und anschliessend im Labor gemessen. Rein technisch könnten solche Sammelflüge heute auch mit Drohnen durchgeführt werden. Die hohen Kosten für die Flugzulassung machen es aber fraglich, ob diesem Überwachungsmittel die Zukunft gehört.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre begannen einige Länder, darunter die USA, Grossbritannien, Norwegen, Schweden und die Schweiz, mit Radioaktivitätsmessungen in den oberen Schichten der Atmosphäre. Die zahlreichen damals gemachten überirdischen Atomtests führten nämlich zu einem starken Anstieg der künstlichen Radioaktivität in der Troposphäre- und in der Stratosphäre.
Um derartige Messung im Labor durchzuführen, musste man jedoch zunächst einmal in der Lage sein, Aerosole in sehr grosser Höhe sammeln zu können. Kampflugzeuge, die bis in 15 km Höhe aufsteigen können, haben diese Aufgabe übernommen. An den Halterungen unter den Flügeln tragen diese statt Bomben eigens dafür entwickelte Luftsammelsysteme, bestehend aus einem Metallzylinder, um den ein Filter gelegt ist, der die Aerosole während des Fluges auffängt. Der Pilot kann den Lufteinlass vom Cockpit aus öffnen und schliessen, damit die Aerosole genau auf der gewünschten Flughöhe einfangen. Die links und rechts am Flugzeug montierten Geräte können zudem separat betätigt werden, wodurch in einem Flug Proben in zwei verschiedenen Höhen gesammelt und so beispielsweise die Radioaktivität oberhalb und unterhalb der Tropopause verglichen werden kann. Das Volumen der gefilterten Luft wird aufgrund der Fluggeschwindigkeit und den Umgebungsbedingungen berechnet.
Die Schweizer Luftwaffe führt seit 1959 mehr oder weniger regelmässig Sammelflüge für Radioaktivitätsmessungen durch. Grössere Unterbrüche der Flüge gab es jeweils beim Wechsel zu einem neuen Flugzeugtyp. Zuletzt war dies Anfang der 2000er Jahre der Fall, als die Ablösung der Hunter Kampfjets durch die Tiger-Kampfflugzeuge erfolgte. Die Kosten für die nötigen Umrüstung beliefen sich damals auf rund 150’000 CHF.
Abbildung 1: Befüllung der Luftfilter-Pods mit einem frischen Filter. Der Luftfilter-Pod ist aufgehängt an einem NATO 14‘‘ Bombenrack des Tiger-Kampfflugzeugs der Schweizer Armee.
Nach dem Reaktorunfall in Fukushima konnte die Schweiz dank diesem Messmittel als eines der ersten Länder in Europa Spaltprodukte aus dem beschädigten Reaktor nachweisen.
Abbildung 2: Nach der Probenahme wird der Filter im Labor mittels Gammaspektrometrie gemessen. Mehrere künstliche Radionuklide (rot hervorgehoben) erscheinen deutlich im hier gezeigten Gamma-Spektrum einer Probe, die am 30. März 2011 nach dem Reaktorunfall in Fukushima auf 7.900 m Höhe gesammelt wurde.
Die Tiger-Kampfflugzeuge werden in den nächsten Jahren ausser Betrieb genommen und der erneute Umstieg, beispielsweise auf die zukünftigen FA-35, wurde auf mehrere Millionen CHF geschätzt. Die erforderliche Homologation führt zu unverhältnismässig hohen Kosten. Der Bundesrat beschloss deshalb, die Sammelflüge mit Flugzeugen der Schweizer Armee nach der Stilllegung der Tiger einzustellen. Andere europäischen Länder hatten sich, vermutlich aus demselben Grund, bereits früher zu diesem Schritt entschieden.
Dank des rasanten technischen Fortschritts könnten in Zukunft Drohnen eine Alternative zu Sammelflügen mit bemannten Flugzeugen bieten. Sie könnten sogar noch einen Schritt weiter gehen und eine direkte Messung ermöglichen. Bereits in den 2000er Jahren wurde der Ranger und die Mass Mini-UAV-Drohne mit Aerosolsammler und Detektor ausgestattet, um während des Fluges kontinuierliche Messungen durchführen zu können. Diese Drohnen hatten jedoch eine relativ geringe Reichweite und konnten daher nicht genügend Luftvolumen sammeln, um auch geringe Spuren von Radioaktivität zu messen. Die Drohne MQ-9 Reaper aus den USA oder die Hermes 900 HFE der Schweizer Luftwaffe sind Beispiele für moderne Drohnen, die eine ausreichende Reichweite hätten, um Spurenmessungen durchzuführen. Beide erreichen eine maximale Flughöhe von etwa 7’500m, fliegen schnell genug und haben eine ausreichend grosse Ladekapazität, um grössere Luftfiltersysteme zu transportieren. 2013 wurde vom Sandia National Laboratory ein Aerosolsammler mit einem Messsystem für ionisierende Strahlung entwickelt, das die Position einer radioaktiven Wolke im Voraus erkennt und die Partikel am Ort der höchsten Konzentration sammelt. Das System wurde erfolgreich an einer MQ-9 Reaper Drohne getestet, allerdings ist uns derzeit kein konkreter Einsatz dieser Kombination bekannt. Die Drohne Hermes 900 HFE der Schweizer Luftwaffe wäre technisch auch in der Lage, Sammelflüge durchzuführen, die Kosten für die Flugzulassung für die Sammelsysteme würden sich jedoch auf über 10 Millionen CHF belaufen; auch hier also unverhältnismässig hohe Kosten für eine routinemässige Überwachung der Radioaktivität in der Luft. Wenn Geräte und Halterungen standardisiert würden und vielfältiger verwendbar wären, wie zum Beispiel für eine breitere Umweltüberwachung, könnten die Kosten sinken.
Die Messprogramme der 50er-Jahre starteten mit eigens für diesen Zweck entwickelten Aerosolsammlern. Heute entwickelt der kanadische Hersteller Airdyne Aerosolsammelsysteme, die unter anderem die Integration von NaI-, LaBr- und CZT-Detektoren für on-line Messungen vorsehen. Wir hoffen, dass durch eine gewisse Standardisierung dieser Messvorrichtungen die Hürden für eine Flugzulassung wieder kleiner werden.
Abbildung 3: Cs-137 Aktivitätskonzentrationen in der unteren Stratosphäre und der oberen Troposphäre anhand der Messflüge aus Polen, USA, UK, Schweden und der Schweiz. In der Bodennahen Luft werden üblicherweise Werte unter 1E-3 mBq/kg gemessen.
Der Originaltext dieses Artikels wurde im Heft 3/2023 der Zeitschrift StrahlenschutzPRAXIS publiziert.
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